20. Juli 2001

TIBET INFORMATION NETWORK

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Besuch des Chinesischen Vizepräsidenten zum Jahrestag der "friedlichen Befreiung" in Lhasa

Chinas Vizepräsident Hu Jintao, der allgemein als der wahrscheinliche Nachfolger Jiang Zemins als Parteivorsitzender und Präsident gilt, war diese Woche in Lhasa, wo er an den Feiern zum 50. Jahrestag der "friedlichen Befreiung" Tibets teilnahm. Der Besuch des Vizepräsidenten wurde erst am Dienstag, den 17. Juli, als Hu zusammen mit höheren Staatsbeamten Peking verließ, bekannt gegeben, und ebenso wenig wurde das Programm für die Feierlichkeiten in Lhasa vorher publik gemacht. Bewohner der Stadt wurden ohne Nennung des Grundes angewiesen, Fahnen und Banner aufzuziehen, und Straßen- und sonstige Bauarbeiten wurden vor Hu Jintaos Ankunft vorangetrieben. In Lhasa herrschten strenge Sicherheitsvorkehrungen im Vorfeld zu dem Besuch des Vizepräsidenten, der eine enge Verbindung zu der Region hat. Als ehemaliger Parteisekretär der Autonomen Region Tibet (TAR) war Hu Jintao maßgeblich an der Auferlegung des Kriegsrechtes als Antwort auf eine Reihe von Unabhängigkeitsdemonstrationen in der tibetischen Hauptstadt im März 1989 beteiligt.

Bei einer Rede am Donnerstag in Lhasa sagte Hu Jintao, daß Tibet nur unter der Führung der CCP (KP) "Wohlstand und Fortschritt" genießen könne: "Die friedliche Befreiung steht dafür, daß Tibet ein für allemal das Joch der imperialistischen Aggression abgeworfen hat, und daß die große Einheit der chinesischen Nation und ihr großes Anliegen der Vereinigung in eine neue Entwicklungsphase getreten sind. Damit hat eine neue Ära begonnen, in der Tibet von der Finsternis zum Licht, von der Rückständigkeit zum Fortschritt, von Armut zu Wohlstand und von der Abschottung zur Offenheit schreiten wird" (Xinhua, 19. Juli). Hu warnte, der Kampf gegen die "spalterischen und aufrührerischen Aktivitäten der Dalai Clique und Anti-China-Kräfte" werde fortgesetzt werden.

Die chinesischen Behörden feierten Chinas "friedliche Befreiung" Tibets bereits am 23. Mai anläßlich des 50. Jahrestages der 1951 erfolgten Unterzeichnung des umstrittenen 17-Punkte-Abkommens, kraft dessen China seinen Anspruch auf Tibet legitimiert. Die Daten, an denen Hu Jintao in Lhasa weilte, haben jedoch historisch gesehen keine besondere Bedeutung. Berichte aus Tibet lassen schließen, daß die Hauptfeier zum Jahrestag der "friedlichen Befreiung", an der auch Vertreter der Zentralregierung teilnahmen, bis jetzt verschoben wurde, um mehr Zeit für die Sanierung von Straßen und die infrastrukturelle Entwicklung der Stadt zur Verfügung zu haben. Einem diese Woche aus Tibet erhaltenen Bericht zufolge wurden diese Woche die Straßenbauarbeiten - einschließlich des Umbaus eines Stückes der Ost Dekyi Straße (tib. Dekyi Shar Lam, chin. Beijing Donglu) zu einer vierspurigen Hauptverkehrsstraße - und andere Projekte intensiviert, weil anzunehmen war, daß Hu Jintao auf seinem Weg vom Potala in Richtung Jokhang über die Dekyi Shar Lam fahren würde. Photographien der Pipeline, die im Mai entlang dieser Straße verlegt wurde, sowie anderer Bauarbeiten können auf der website von TIN angeschaut werden. Aus derselben Quelle verlautet, daß im Hinblick auf den Besuch mehrere Hundert Personen zählende Arbeitsbrigaden Bäume entlang der Dekyi Straße pflanzten.

Die Sicherheitsmaßnahmen wurden in den letzten paar Wochen in Lhasa beträchtlich verstärkt. Als ein hoher Beamter aus Peking vor einem Monat zur Begutachtung der Vorbereitungen für die Jahrestagfeiern nach Lhasa flog, war die Straße vom Flugplatz zur Stadt von stramm stehenden, bewaffneten Soldaten gesäumt. Einer zuverlässigen Quelle zufolge waren weitere Soldaten in Sturmausrüstung, mit Schutzschildern vor dem Gesicht und Maschinengewehren in der Hand in Stellung. Der Potala Platz sei Wochen vor der Ankunft Hu Jintaos regelmäßig mit Metalldetektoren abgesucht worden.

Ein westlicher Tourist, der diese Woche aus Tibet zurückkehrte, erzählte TIN: "Vor dem Besuch wurden Läden, öffentlichen Gebäuden und Restaurants Flaggen ausgehändigt, die sie hochziehen mußten, ohne daß sie den Grund dafür gesagt bekamen. Keiner wußte, worum es ging, und die Stadt war voller Gerüchte. Es scheint, für die Feier des 50. Jahrestages wurde ein Datum bestimmt, das die Regierung geheim halten wollte."

Während seiner Gespräche in Lhasa hob Hu Jintao die zentrale Rolle, welche Partei und Staat über die letzten 50 Jahre in der Entwicklung Tibets gespielt haben, hervor und warnte: "Es ist unbedingt erforderlich, unmißverständlich gegen die separatistischen Aktivitäten der Dalai Clique und der Anti-China-Kräfte zu kämpfen" (Tibet Daily, 19. Juli). Bei seinem Besuch im Jokhang Tempel am 18. Juli mahnte Hu, der von dem Parteisekretär Tibets Guo Jinlong, dem zweiten Parteisekretär Ragdi und dem Vorsitzenden der TAR Regierung Legchog begleitet wurde, die Mönche, den tibetischen Buddhismus noch besser an den Sozialismus anzupassen und einen Beitrag zu Tibets Entwicklung und Stabilität zu leisten (Tibet Daily, 19. Juli). In seiner Rede betonte Hu Jintao die Grundsätze, die bei dem kürzlich stattgefundenen "Vierten Tibet Arbeitsforum" konzipiert wurden, nämlich die Wirtschaftsentwicklung zu beschleunigen und die tibetische Gesellschaft "von der elementaren Stabilität zu dauerndem Frieden und Beständigkeit zu führen". Das Arbeitsforum, dessen Zweck die Formulierung der Parteipolitik für Tibet "in der neuen historischen Ära" war, tagte unter Teilnahme aller 7 Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros vom 25.-27. Juni in Peking.

Zum 50. Jahrestag machte Hu Jintao dem tibetischen Volk ein Geschenk, und zwar eine 3-füßige Urne, die in der englisch-sprachigen chinesischen Presse als "kostbarer Dreifuß der nationalen Einheit" (das chinesische Wortzeichen ding bedeutet ein altes chinesisches Gefäß) bezeichnet wird, und die eine Inschrift von Präsident Jiang Zemin trägt. Die feierliche Verleihung fand außerhalb der Halle des Volkes an der Mirig Lam statt. Wang Zhongyu, der stellv. Delegationsleiter, sagte, er hoffe die 5 m hohe und 3,5 t schwere Urne würde die Leute der Region weiter ermutigen, sich um das Zentralkomitee der CCP zu sammeln (People's Daily, 19.7).

Gedenkfeier zum 17-Punkte-Abkommen in Lhasa

Am 23. Mai, dem Jahrestag der Unterzeichnung des 17-Punkte-Abkommens 1951, hielten die Behörden zwei offizielle Flaggenappelle in Lhasa ab. Augenzeugen zufolge dauerte die Zeremonie am Morgen, zu der etwa 200 Personen kamen, keine 10 Minuten. Mehrere Beobachter stellten fest, daß den Tibetern die Begehung des buddhistischen Festes Sagadawa zu eben dieser Zeit viel wichtiger war. Aus einer gewissen Quelle erfuhr TIN, daß weibliches Sicherheitspersonal angewiesen wurde, während Sagadawa in Zivilkleidung am Barkhor bei der Umrundung mitzugehen, um die Gespräche der Tibeter zu belauschen. "Sie wurden instruiert, auf unpatriotische Dinge in den Unterhaltungen zu achten", erzählte die Quelle, die inzwischen Tibet verlassen hat.

In seiner gestrigen Rede betonte Hu Jintao die politische Bedeutung des Jahrestages der Unterzeichnung des 17-Punkte-Abkommens am 23. Mai 1951. Für Peking ist dies das einzige, sowohl von Tibetern als auch von Chinesen unterzeichnete Dokument, das die Integration des Gebietes der späteren Autonomen Region Tibet in das "Mutterland" ausweist. Obwohl sie sich nicht an die Bedingungen des Abkommens hielten, zitieren die Chinesen immer noch dieses Dokument, um ihre Ansprüche auf tibetische Gebiete zu legitimieren. So sagte Hu Jintao: "Vor 50 Jahren schätzten das Zentralkomitee der KP und Genosse Mao Zedong die Lage völlig richtig ein und trafen die weitblickende, resolute und bedeutende politische Entscheidung, Tibet auf friedlichem Wege zu befreien. Die zentrale Volksregierung und die lokale Regierung Tibets unterschrieben das Abkommen über Maßnahmen zur friedlichen Befreiung Tibets [allgemein als das 17-Punkte-Abkommen bekannt], wodurch diese Wirklichkeit wurde. Die friedliche Befreiung Tibets ist ein wichtiger Meilenstein in der modernen chinesischen Geschichte und ein epochemachender Wendepunkt in der Entwicklung Tibets... Der Lauf von 50 Jahren voller Stürme und Schicksalsschläge brachte eine Wahrheit ans Licht: Nur unter der Führung der KP Chinas, nur in der Umarmung durch die große Familie des Mutterlandes und nur durch ein entschlossenes Einschlagen des sozialistischen Weges chinesischer Prägung kann Tibet heute Wohlstand und Fortschritt genießen und morgen sogar noch mehr davon bekommen. Das ist der wichtigste Schluß, den wir aus den 50 Jahren tibetischer Entwicklung ziehen, und ebenso das grundlegende Prinzip, das beim weiteren Aufbau Tibets beachtet werden muß" (Xinhua, 19. Juli).

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